URN zum Zitieren der Version auf EPub Bayreuth: urn:nbn:de:bvb:703-epub-7199-1
Titelangaben
Maurus, Sabrina:
Battles over State Making on a Frontier : Dilemmas of Schooling, Young People and Agro-Pastoralism in Hamar, Southwest Ethiopia.
Bayreuth
,
2020
. - 250 S.
(
Dissertation,
2020
, Universität Bayreuth, Bayreuth International Graduate School of African Studies - BIGSAS)
Volltext
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Angaben zu Projekten
Projektfinanzierung: |
Friedrich-Ebert-Stiftung; BIGSAS |
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Abstract
Compulsory schooling has been promoted globally through the United Nation’s Development Goals and is widely understood as a “global good”. Assuming that schooling minimizes poverty and supports development and social mobility, the politics of “schooling-for-all” is rarely examined critically. However, in Hamar District in southwest Ethiopia the attempt to implement compulsory schooling turned into a violent conflict in 2014/15. This conflict over education, in particular girl’s schooling, throws doubt on the universal implementation of ‘Western’-style schooling. In this dissertation, I look beyond the ideology of schooling and analyze what it means in practice and how it leads to conflicts in a rural area. In this case, schooling literally constitutes an arena in which various political actors fight over their claims to power. The conflict shows how schooling is entangled with an ongoing process of state making. The Ethiopian state, which can be called a developmentalist state, tries to enlarge its power on the frontier through schooling and by seeking to achieve (inter)national development goals. Agro-pastoralist societies, which live by mobile animal husbandry and slash-and-burn cultivation, try to secure their existence and co-determination. Students who are related both to their agro-pastoralist kin and to the government, live at the interface of these competing claims to power. This intermediary position puts them in the middle of the conflict and creates dilemmas, which I conceptualize as crossroads and points of difficult decision-making between multiple life paths. During my fieldwork, in which I witnessed the outbreak of the violent conflict, I focused on the perspectives of young people. The lives of students are affected by schooling but their voices are rarely heard. In a multi-sited ethnography, I follow first-generation children and young people as they move from agro-pastoralist homesteads to schools and hostels in towns. I study education in and outside schools, and understand young people as actors whose lives are interwoven with larger processes that shape them, and which they also co-create. The dissertation identifies dilemmas of schooling in five fields: (1) in regard to schooling and its effects on agro-pastoralist household economies, (2) in the ideology and practices of teaching and learning in rural schools, (3) in relation to the (dis)connections between urban and rural lifestyles, (4) in regard to marriage and initiation and their underlying gender relations, and (5) in the fight over multiple claims to power. Looking at these dilemmas, the phenomenon of high unemployment rates among school-educated youth, and the decreasing land that is available for agriculture and pastoralism, the dissertation shows the dilemma of giving recommendations for the future: schooling appears to be one possible path into the future for some children, but not a sustainable way for every child. The conflict raises the question of who has the right to decide about the education of children. Is it the state, the parents, or the girls and boys themselves? My discussion of the dilemmas arising from these decisions shows how young people negotiate competing ways of living which shape personal and global processes of transformation.
Abstract in weiterer Sprache
Die allgemeine Schulpflicht wurde durch die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen weltweit verbreitet und gilt gemeinhin als ein „globales Gut“. Da angenommen wird, dass Schulbildung Armut verringere, zu Entwicklung beitrage und sozialen Aufstieg ermögliche, werden die Auswirkungen dieser „Schule-für-Alle“ Politik selten hinterfragt. Im Hamar Distrikt im Südwesten Äthiopiens führte der Versuch, die allgemeine Schulpflicht durchzusetzen, in den Jahren 2014/15 jedoch zu einem gewaltsamen Konflikt. Dieser Konflikt über Bildung, im Besonderen der Schulbildung von Mädchen, lässt die universelle Einführung von „westlicher“ Schulbildung hinterfragen. In meiner Doktorarbeit untersuche ich, was Schulbildung jenseits von Ideologien in der Praxis bedeutet und wie sie zu Konflikten in einer ländlichen Region führt. Bildung stellt in diesem Fall wortwörtlich eine Arena dar, in der verschiedene politische Akteure Machtkämpfe austragen. Der Konflikt zeigt, wie Schulbildung mit einem fortwährenden Prozess der Staatsbildung verwoben ist. Der äthiopische Staat, der als Entwicklungsdiktatur bezeichnet werden kann, versucht seine Herrschaft in der Grenzregion mittels Schulbildung auszuweiten und bezieht sich dabei auf die Erreichung (inter)nationaler Entwicklungsziele. Agro-pastorale Gesellschaften, die von mobiler Tierhaltung und Wanderfeldbau leben, versuchen ihre Existenz und ihre Mitbestimmung zu sichern. An der Schnittstelle dieser konkurrierenden Herrschaftsansprüche leben Schüler*innen, die sowohl mit ihren agro-pastoralen Verwandten als auch mit der Regierung verbunden sind. Diese intermediäre Position verursacht Dilemmata – hier verstanden als eine Kreuzung und einen schwierigen Punkt der Entscheidungsfindung zwischen multiplen Lebenswegen – und lässt Schüler*innen in den Mittelpunkt des Konflikts geraten. In der Feldforschung, in der ich Zeugin des Ausbruchs des gewaltsamen Konflikts wurde, nehme ich die Perspektive junger Menschen in den Fokus. Deren Leben ist von Schulbildung am meisten betroffen, ihre Stimmen werden jedoch selten gehört. In einer „multi-sited ethnography“ folge ich Kindern und Jugendlichen, die als erste Generation von agro-pastoralen Gehöften in Schulen und Internate in Städte ziehen. Hierbei betrachte ich Bildung sowohl in als auch außerhalb von Schulen und verstehe junge Menschen als Akteure und Akteurinnen. Das Leben junger Menschen ist mit größeren Prozessen verflochten, die sie prägen, aber welche sie auch mitgestalten. Die Dissertation identifiziert Dilemmata von Schulbildung in fünf Feldern: (1) im Bereich von Schule und deren Auswirkungen auf agro-pastorale Haushaltsökonomien, (2) in der Ideologie und Praxis von Lehren und Lernen in ländlichen Schulen, (3) in den Verbindungen und Entfremdungen zwischen ländlichen und städtischen Lebensstilen, (4) in Bezug auf Heirat und Initiation sowie den zugrundeliegenden Geschlechterverhältnissen und (5) in der Aushandlung multipler Ansprüche an Herrschaft. Mit Blick auf diese Dilemmata sowie vor dem Hintergrund einer hohen Arbeitslosigkeit unter gebildeten Jugendlichen und zunehmend weniger Land, das für Landwirtschaft und Hirtentätigkeit zur Verfügung steht, zeigt sich schließlich, dass Empfehlungen für die Zukunft von Schule nur schwierig auszusprechen sind: Schule scheint zwar für manche ein möglicher Weg in die Zukunft zu sein, ist dies aber nicht als ein nachhaltiger Weg für alle Kinder. Der Konflikt lässt somit auch die Frage stellen: Wer hat das Recht über die Bildung von Kindern zu entscheiden? Ist es der Staat, sind es die Eltern oder Mädchen und Jungen selbst? In den Dilemmata dieser Bildungsentscheidungen zeigen sich die Aushandlung konkurrierender Lebensweisen, die persönliche und globale Transformationenprozesse gestalten.