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Neuromuskuläre Kontrolle des menschlichen Gehens: Eine computergestützte, modellbasierte Untersuchung verschiedener Kontrollstrategien und deren Auswirkungen auf die Stabilität

DOI zum Zitieren der Version auf EPub Bayreuth: https://doi.org/10.15495/EPub_UBT_00007859
URN to cite this document: urn:nbn:de:bvb:703-epub-7859-1

Title data

Schreff, Lucas:
Neuromuskuläre Kontrolle des menschlichen Gehens: Eine computergestützte, modellbasierte Untersuchung verschiedener Kontrollstrategien und deren Auswirkungen auf die Stabilität.
Bayreuth , 2024 . - 73, XVIII P.
( Doctoral thesis, 2024 , University of Bayreuth, Faculty of Cultural Studies)

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Abstract

Das zweibeinige Gehen des Menschen wird als ein ständiger Prozess des Fallens und der Rückgewinnung des Gleichgewichts angesehen. Aufgrund der im Vergleich zu Vierbeinern geringeren Unterstützungsbasis ist ein hoher neuromuskulärer Kontrollaufwand erforderlich, um die Stabilität während der Fortbewegung aufrechtzuerhalten. Insbesondere extrinsische Störungen, wie beispielsweise Abwärtsstufen, stellen eine Herausforderung für das menschliche Gehen dar, denn die Bewegungsmuster, die für die grundlegende Fortbewegung vermutlich überwiegend im Rückenmark generiert werden (Feedforward-Kontrolle), müssen angepasst werden. In experimentellen Untersuchungen wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Strategien identifiziert, die bei der Adaption der Beinkontrolle eine wichtige Rolle spielen. Neben der Feedforward-Kontrolle zählen hierzu die Feedback-Kontrolle, welche auf propriozeptiven Kraft- und Längeninformationen der Datenfelder EPub Bayreuth Muskeln basiert und die antizipative Kontrolle, die vorausschauende Ganganpassungen aufgrund von visueller Wahrnehmung ermöglicht. Doch nicht nur die Beine erfordern während des menschlichen Gehens neuromuskuläre Kontrolle. Der gesamte Körper muss in nahezu aufrechter Position balanciert werden. Ein Konzept zur Gleichgewichtskontrolle beruht auf der Beobachtung, dass sich die Bodenreaktionskräfte (engl. ground reaction force, GRF) während des Gehens nahe einem Punkt, bezeichnet als virtueller Drehpunkt (engl. virtual pivot point, VPP) oberhalb des Körperschwerpunkts (engl. center of mass, CoM) schneiden. In der Theorie stabilisiert der VPP den menschlichen Körper während des Gehens wie ein physikalisches Pendel. Das Hauptziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss verschiedener Kontrollstrategien auf die Stabilität des menschlichen Gehens zu evaluieren. Hierbei wird hauptsächlich auf die antizipative und die VPP-Kontrolle eingegangen. Die Evaluierung der Kontrollstrategien erfolgt mithilfe eines computergestützten, neuromuskuloskelettalen Reflexmodells. Dieses bietet die Möglichkeit, das Verhalten der menschlichen Gliedmaßen während des Gehens nachzuahmen und die Kontrollstrategien, die für die Erzeugung der Bewegungsmuster verantwortlich sind, getrennt voneinander untersuchen zu können. Im Hauptteil dieser Arbeit (Kapitel 2-6) werden die Ergebnisse aus unterschiedlichen wissenschaftliche Untersuchungen vorgestellt. Die Studie aus Kapitel 2, bei welcher experimentell beobachtete antizipative Muskelanpassungen während des letzten Kontakts vor einer Abwärtsstufe auf das Reflexmodell übertragen wurden, zeigt, dass die antizipative Kontrolle einen großen Beitrag für die stabile Bewältigung von Untergrundänderungen liefert. Das Reflexmodell konnte je nach Ausmaß der antizipativen Anpassungen bis zu siebenfach höhere Abwärtsstufen bewältigen als ohne Anpassungen. Bei den Untersuchungen aus Kapitel 3 wurde mittels prädiktiver Simulation geprüft, welche Auswirkung (altersbedingte) Muskelschwäche auf die Bewältigung von Abwärtsstufen mit antizipativen Muskelanpassungen hat. Entgegen den Erwartungen konnten beim Gang mit 30 % reduzierter Muskelkraft annähernd so hohe Stufen bewältigt werden wie beim Gang ohne reduzierter Muskelkraft. Allerdings führten beim Gang mit reduzierter Muskelkraft im Bereich höherer Stufen (>10 cm) eine geringere Anzahl der getesteten antizipativen Muskelanpassungen zu einem stabilen Verhalten des Modells bei Abwärtsstufen. Dies könnte darauf hinweisen, dass antizipative Muskelanpassungen beim Gehen mit geringer Muskelkraft genauer abgestimmt werden müssen. Der VPP-typische Schnittpunkt der GRFs wurde bisher bei allen VPP-bezogenen Untersuchungen sowohl beim ebenen als auch beim extrinsisch und intrinsisch gestörten Gehen beobachtet. Daher liegt die Vermutung nahe, dass es sich beim VPP-Konzept um einen grundlegenden Mechanismus handelt, ohne dessen stabilisierende Funktion bipedes Gehen beim Menschen nicht möglich ist. In den Kapiteln 4 und 5 wird diese Annahme infrage gestellt. Durch Optimierung der Kontrollparameter des Reflexmodells konnte in Datenfelder EPub Bayreuth Kapitel 4 simulationsbasiert ein stabiler, gleichmäßiger Gang ohne VPP vorhergesagt werden. Zusätzlich imitieren die Proband*innen einer experimentellen Studie (Kapitel 5) den Gang des humanoiden Roboters Lola, dessen GRFs nicht VPP-typisch in der Nähe eines Punktes über dem CoM schneiden. Durch das veränderte Gangbild und eine angepasste Gewichtsverteilung konnte auch bei zwei der zehn Proband*innen Gehen ohne VPP beobachtet werden. Beide Studien zeigen somit, dass ein stabiles, gleichmäßiges Gehen ohne VPP-typischen Schnittpunkt der GRFs grundsätzlich möglich ist. In Kapitel 6 wurde mithilfe des Reflexmodells der Einfluss antizipativer Anpassungen auf die Fokussierung der GRFs und auf die Position des möglichen Schnittpunkts (VPP) während des ersten (gestörten) Kontakts nach einer Abwärtsstufe untersucht. Ohne antizipative Anpassungen nahm die Fokussierung der GRFs mit steigender Stufenhöhe ab. Zusätzlich wurde eine horizontale Verschiebung des GRF-Schnittpunkts in Laufrichtung beobachtet. Mithilfe antizipativer Anpassungen konnte beiden Trends entgegengewirkt werden. Je nach Ausmaß der antizipativen Anpassungen war es möglich, bei unterschiedlichen Stufenhöhen eine hohe Fokussierung der GRFs und eine Schnittpunkt-Position in einem Bereich, ähnlich dem beim ebenen Gehen, nachzuweisen. Die Erkenntnisse der in dieser Arbeit vorgestellten Studien können in Zukunft genutzt werden, um robotische Hilfsmittel, wie Exoskelette oder Prothesen weiterzuentwickeln und das Wissen über die Kontrolle des menschlichen Gehens zu erweitern, um die klinische Diagnostik und Therapieansätze zu verbessern. Das Ziel sollte sein, die Sturzgefahr von älteren Personen und unterschiedlichen Patientengruppen zu verringern oder deren Gehfähigkeit wieder herzustellen. Hierfür sollten in Zukunft sowohl die antizipativen als auch die VPP-Kontrollstrategien der entsprechenden Zielgruppen genauer untersucht werden.

Abstract in another language

Human bipedal walking is considered a continuous process of falling and regaining balance. Due to the smaller base of support compared to quadrupeds, a high degree of neuromuscular control is required to maintain stability during locomotion. In particular, extrinsic perturbations such as step-down perturbations present a challenge to human walking as the walking patterns primarily generated in the spinal cord (feedforward control) for basic locomotion need to be adapted. In recent years, experimental studies have identified various strategies that play a crucial role in adapting leg control. In addition to feedforward control, these include feedback control, based on proprioceptive force and length information from muscles, and anticipatory control, enabling predictive gait adjustments based on visual perception. However, neuromuscular control is not limited to the legs during human walking; the entire body must be balanced in an upright position. One concept of balance control is based on the observation that ground reaction forces (GRFs) during walking intersect near a point known as the virtual pivot point (VPP) above the center of Datenfelder EPub Bayreuth mass (CoM). In theory, the VPP stabilizes human walking like a physical pendulum. The main objective of this thesis is to evaluate the influence of different control strategies on the stability of human walking, with a primary focus on anticipatory and VPP control. The evaluation of control strategies is conducted using a computer-assisted neuromusculoskeletal reflex model. This model allows replicating the behavior of human limbs during walking and enables the investigation of control strategies responsible for generating movement patterns separately. In the main body of this work (Chapters 2-6), the results of various scientific investigations are presented. The study in Chapter 2, where experimentally observed anticipatory muscle adaptations during the last contact before a step-down perturbation were transferred to the reflex model, demonstrates that anticipatory control contributes significantly to the successful coping with extrinsic perturbations. Depending on the extent of anticipatory adaptations, the reflex model could handle up to seven times higher step heights than without adjustments. In the investigations of Chapter 3, predictive simulations were used to examine the effects of (age-related) muscle weakness on the successful coping with step-down perturbations with anticipatory muscle adaptations. Contrary to expectations, a gait with 30 % reduced muscle strength could handle perturbation heights almost as well as a gait without reduced muscle strength. However, in the case of walking with muscle weakness at higher perturbation heights (>10 cm), a lower number of tested anticipatory muscle adaptations led to a stable model behavior in step-down perturbations, indicating that anticipatory muscle adaptations may need to be finely tuned for walking with low muscle strength. The VPP-like intersection point of GRFs has been observed in all VPP-related studies to date, both in level and extrinsically or intrinsically perturbed walking. This leads to the assumption that the VPP concept represents a fundamental mechanism without which bipedal walking in humans is not possible. In Chapters 4 and 5, this assumption is challenged. By optimizing the control parameters of the reflex model, a stable, steady gait without a VPP was predicted in simulation-based investigations in Chapter 4. Additionally, participants in an experimental study (Chapter 5) imitated the gait of the humanoid robot Lola, whose GRFs do not intersect near a point above the CoM in a VPP-like manner. By altering gait patterns and adjusting weight distribution, walking without a VPP was observed in two out of ten participants. Both studies demonstrate that stable, steady walking without a VPP-like intersection of GRFs is possible. In Chapter 6, the reflex model was used to investigate the influence of anticipatory adaptations on the focusing of GRFs and the position of the potential intersection point (VPP) during the first (perturbed) contact after a step-down perturbation. Without anticipatory adaptations, the focusing of GRFs decreased with increasing perturbation height, along with a horizontal shift of the GRF Datenfelder EPub Bayreuth intersection point in the walking direction. Anticipatory adaptations counteracted both trends. Depending on the extent of anticipatory adaptations, high GRF focusing and a position of the intersection point above the CoM could be demonstrated at different step heights. The findings of the studies presented in this work can be used in the future to improve robotic aids such as exoskeletons or prostheses and expand knowledge of human walking control to enhance clinical diagnostics and therapeutic approaches. The goal should be to reduce the risk of falls for older individuals and various patient groups or restore their ability to walk. To achieve this, the anticipatory and VPP control strategies of the respective target groups should be investigated in more detail in the future.

Further data

Item Type: Doctoral thesis (No information)
Keywords: neuromuskuloskelettales Modell; Antizipation; virtual pivot point
(VPP); Bipedie; dynamische Stabilität; Fortbewegung
DDC Subjects: 500 Science > 570 Life sciences, biology
600 Technology, medicine, applied sciences
600 Technology, medicine, applied sciences > 610 Medicine and health
Institutions of the University: Faculties > Faculty of Cultural Studies > Department of Sport Science > Chair Sport Science I - Neuromotorik und Bewegung
Research Institutions > Central research institutes > Bayreuth Center of Sport Science (BaySpo)
Faculties
Faculties > Faculty of Cultural Studies
Faculties > Faculty of Cultural Studies > Department of Sport Science
Research Institutions
Research Institutions > Central research institutes
Language: German
Originates at UBT: Yes
URN: urn:nbn:de:bvb:703-epub-7859-1
Date Deposited: 15 Aug 2024 07:28
Last Modified: 15 Aug 2024 07:29
URI: https://epub.uni-bayreuth.de/id/eprint/7859

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