Titelangaben
Rauh, Helmut:
Zeitkulturen als Vermittlung von Individuum und Kollektiv im neuen französischen Roman seit 1983 : dargestellt an Werken von Bon, Houellebecq und Beigbeder.
Bayreuth
,
2018
. - 426 S.
(
Dissertation,
2015
, Universität Bayreuth, Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät)
Volltext
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Abstract
Was soll man unter den Begriff Zeitkulturen subsumieren? Wie schafft man es, diese Art strukturelle Leerstelle, das, worum sich letztlich alles logo-zentristisch „dreht“, die alles und nichts zu sagen scheint, mit wissenschaftlicher Bedeutung zu füllen bzw. zu bestimmen und auf diese Weise zu dekonstruieren? Handelt es sich wirklich um so etwas wie einen temporal turn in den Geisteswissenschaften, wenn nicht sogar in der Ideengeschichte? Der Versuch literarisch-zeitliche Themen in auch einem kulturwissenschaftlichen Kontext zu verorten, wurde in Form einer Dissertation am Lehrstuhl für Romanistik und Komparatistik der UNIVERSITÄT BAYREUTH, Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät (IV) unternommen. Die Arbeit, die den Titel trägt: Zeitkulturen als Vermittlung von Individuum und Kollektiv im neuen französischen Roman seit 1983- dargestellt an Werken von Bon, Houellebecq und Beigbeder wurde von Frau Professor Doktor Fendler und Frau Doktor habil. Städtler betreut. Ausgangspunkt ist gewesen, mehr als ein Dutzend Romane der eben erwähnten Autoren, die nach dem Paradigmenwechsel von 1983 das literarische Leben in Frankreich wesentlich mitbestimmten und prägten, in einem methodisch komparatistischen Ansatz in Hinblick auf ihre Zeitmodellierung unter dem Aspekt idealtypischer Zeittheorien des 20. Jahrhunderts (von Heidegger über Ricoeur bis A. Assmann) zu untersuchen. Ihr Hang fort von den Direktiven der Lyotardschen Grand recits (Große Erzählungen mit Totalisierungscharakter) des Nouveau romans hin zu den unzähligen, mannigfaltigen Micro-récits nach 1983, also weg vom Methodenzwang, dem Terreur theorique der Moderne und Hochkultur hin zum Anything goes und entliteralisierten Laissez faire der postmodernen neuen (literarischen) Generation lässt eine wesentliche Akzentverschiebung bzw. einen Richtungswechsel um 180 Grad erkennen, weg vom Eigentlichkeitsparadigma hin zu einer Vermittlung von Individuum und Kollektiv unter Berücksichtigung von Mythen des Alltags. Diese wird nun nicht als Verschwinden und Aufgehen des Helden im Chor der Masse/Menge verortet, sondern durch ausgeklügelte Zeitmodellierungen in der Diegese bewerkstelligt- Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit, Pause, Szene, Summary, Ellipse, singulative, repetitive, iterative Erzählformen, aber auch Erinnerungs-Räume (Assmann), Kollektives Bewusstsein als Kalender, Mythos, Ritus, Zeit der Chronik, Archiv, Dokument und Spur, Generationenfolge (Ricoeur). Man kann also in den Romanen Le crime de Buzon, Les particules élémentaires, Vacances dans le Coma u. a. unter dem Aspekt einer Dichotomie von Einzelnem und Gesellschaft Zeitmodellierungen feststellen, die auf eine Emanzipation der Zeit hindeuten und Kants „große Umkehrung … [dass] Zeit nicht mehr von der Bewegung ab[hängt], sondern die Bewegung von der Zeit“ (Deleuze, Das Zeit-Bild, Kino 2, S. 59) mehr denn je nicht länger als Träume eines Geistersehers abtun lassen.¹ Dieser großen Umkehrung mit revolutionärem Charakter, die erst jetzt, hervorgerufen durch eine Art Steppunkt, ihre Schatten zu werfen scheint und eine Ausweitung zeitlicher Themen auf ihre kulturelle Dimension verlangt, sollte in den Zeitkulturen als Vermittlung von Individuum und Kollektiv … Rechnung getragen werden als einer Legitimation, Zeit in der Erzählung in einer kulturwissenschaftlichen Dimension unter die Lupe zu nehmen. Cultures of times also als Sapere aude und Weiterführung des unvollendeten Projekts der Moderne? ¹Der Bogen der Entwicklung von Kant hin zu Heidegger/Ricoeur ließe sich dann, vom Forschungsstand der Zeitkulturen als Vermittlung von Individuum und Kollektiv aus, leicht spannen, bliebe aber einer weiterführenden Arbeit vorbehalten. Zwar kennt fast jeder Descartes' Cogito: Ich denke, also bin ich, aber kaum einer das Kantische, das um die Komponente der Zeit erweitert wird: Ich denke (was eine Bestimmung ist), also bin ich (was eine unbestimmte Existenz voraussetzt). Aber auf welche Weise bin ich bestimmbar? Die Antwort lautet: Nur in der Zeit! Dies hat eine Art Spaltung des Subjekts (Je est un autre!) in ein aktives Ich [Je] und in ein passives [Moi] zur Folge (siehe hierzu: Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 39). In der Zeit bestimmt mein aktives Je, mein durch die Kultur und das Kollektiv vermittelte Denken, mein passives Moi bzw. mein individuelles Sein. Das Individuum wird durch die kollektiven Zeitlichkeiten bestimmt und für die Kultur erschaffen.
Abstract in weiterer Sprache
What's about cultures of time? Does it exist, the temporal turn, in Literature and Cultural Studies, the proclamed changing of paradigm in new french novel since 1983? Is there any difference between theory of time and cultures of time or are these only two different words for the same thing and so synonyms? How to arrange an interdisziplinarian point of view, in which Literature is asked about its cultural aspects and in our special case about its temporal and cultural dimension? 1983 in France the dominance of Nouveau roman breaks down. A new generation of writers breaks with the rules of the Grands récits (an idea of the thinker of postmodernism Lyotard). It cames to the triple Retour au récit, réel et sujet. Fundamentual experiences with the conditions of narration were stopped and one returns to the traditional fiction with beginning, climax and ending. The Terreur theorique was over and everybody tells its own Micro-récit. Anything goes and against method were the signs of time. But there was not only an 180-degree-turn. The paradigm of authenticity (Eigentlichkeit) and individualism were deconstructed through the possibilities of the fiction to play with time and so it comes in the novels of Bon, Houellebecq and Beigbeder to an accentifying of time-structures, which represented the collective forms of cultures of times, so as calendarian time, chronicle, myth, rite, archives, document (Ricoeur), trace, or Rooms of remembrance (A. Assmann). So the collective forms of representing time in the novel make it possible that it comes to an equalisation of, a synthesis between individual and collective. But the revolution of cultures of time in the new french novel like Le crime de Buzon, Les particules élémentaire or Vacances dans le coma not only breaks with the rules of the literarian fathers, they also show an inherent alteration: „The time is out of joint“ (Hamlet). Since Kants great inversion time no longer depends on motion but motion on time (Deleuze, Das Zeit-Bild, FfM 1997, S. 59). Some kind of Steppunkt has led that the Kantian Cogito, in which a new idea of time is involved and so also space no longer can be defined only through Gleichzeitigkeit, becomes new actuality (Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, FfM 2000, S. 39). Thus in an era, in which every point on Earth is within reach in seconds, becomes the race of Achilles with the tortoise new conditions and implications.